GV Volkshochschule
1. Juni 2022
Lieber Stephan
Liebe Anwesende
Ich war kaum im Amt, hast du mich, lieber Stephan angefragt, ob ich hier ein kurzes Referat halten könne.
Ich habe sehr gerne zugesagt:
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Weil mir selbstverständlich direkt warm ums Herz wird, wenn es um Bildung geht – denn ich war bis zu meinem Amtsantritt mit Leib und Seele Schulleiterin.
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Weil ich dich, Stephan, doch gut kenne, da wir einige Jahren zusammen im Vorstand des SL – Verbandes tätig waren, auch dies bis zu der Übernahme meiner neuen Tätigkeit.
Ich kenne dich, Stephan, als einen innovativen und auch pragmatischen Bildungsexperten, du hast immer nach Lösungen gesucht und auch mal unkonventionelle Ansätze vertreten, das machten die Diskussionen im VSL Vorstand auch immer spannend.
Nun wirst du heute dein Amt als Präsident abgeben und so wie ich dich kenne, hast du dieses Amt ganz sicher sehr engagiert ausgefüllt.
Engagement ist auch der Begriff, den ich hier in meinem Input etwas beleuchten möchte, da mich dieser seit meinem Amtsantritt stark begleitet.
In kürzester Zeit habe ich erfasst, wie viel Engagement unzähliger Menschen es braucht, damit unsere Stadt, unser Zusammenleben, unsere Gesellschaft, so wie wir sie kennen, funktionieren.
Sich in einen Gemeinderat wählen zulassen ist mal nur das eine; wir in der Stadt haben zu Beginn einer Legislatur 82 Kommissionsitze zu besetzen – dazu braucht es die Parteien, die in Knochenarbeit auf die Suche gehen, von Personen, die sich zu Verfügung stellen.
Dann müssen wir all die Vereine betrachten, welche durch den Sport oder Musik quasi «gratis» Jugend – und Integrationsarbeit leisten und einen wichtigen Faktor abbilden für unseren sozialen Zusammenhalt.
Dann haben wir die ganze freiwilligen Arbeit in verschiedensten Bereichen. Zum Beispiel hätten wir in der Stadt, und in anderen Gemeinden war es sicher auch so, die Flüchtenden aus der Ukraine gar nicht angemessen betreuen können ohne das grosse Engagement der freiwilligen Helferinnen und Helfer.
Und ich spreche hier nicht jene an, die aus einem kurzfristigen Anflug von Solidarität jemanden aufgenommen haben, diese aber nach kurzer Zeit wieder abgebrochen haben – sondern jene, die sich nachhaltig und verlässlich engagieren.
4 von 10 Menschen engagieren sich in der Schweiz freiwillig, es werden 660 Mio. Stunden geleistet, dazu gehört auch das Enkel und Enkelinnen hüten oder zu den betagten Eltern schauen.
Warum machen wir das? Warum engagieren wir uns?
Bei Befragungen wurden folgende Motivationen genannt:
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Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben
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Es tut mir gut, ich bekomme etwas zurück
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Ich kann etwas bewegen
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Ich werde gebraucht – es wird die Erfahrung der Selbstwirksamkeit gemacht
(hier ein Klammerbemerkung: ein grosser «Krankmacher» in der Arbeitswelt ist die fehlende Selbstwirksamkeit – d.h. Sinnhaftigkeit fehlt oder die Einsicht welchen Sinn mein Tun ergeben soll).
Was mich bei meinen Begegnungen mit Menschen, die sich für etwas einsetzen immer wieder aufgefallen ist, mit welcher Begeisterung dies gemacht wird.
Das ist wirklich ein schöner Aspekt an meinem Amt: ich komme mit vielen Menschen in Kontakt, die für etwas glühen und mit Leidenschaft von ihren Tätigkeiten berichten – und sicher ist es so, dass unser Leben ein grosses Stück lebenswerter ist, wenn wir uns für etwas oder jemanden einsetzen.
Zudem sind die Beteilung oder das Mitwirken in einem Verein oder in einer Organisation äussert wichtig, damit unsere Demokratie funktioniert.
Vielleicht habt ihr auch schon die Erfahrung gemacht, dass ihr zum Beispiel eine sportliche Leidenschaft in einem Verein mit anderen auslebt, mit ganz verschiedenen Menschen, die vielleicht in anderen Lebensbereichen andere Werte und Haltungen vertreten – doch das Zusammenwirken im Verein übt sich in Toleranz.
Ich habe das bei einem meiner Söhne erlebt. Er hat als Junge Fussball gespielt; in der Stadt gibt es eine Tendenz, dass die CH – Jungs in den umliegenden Gemeinden Fussball spielen. Mein Sohn fand den Weg ins mittlere Brühl – einen multikulti Tummelplatz; er traf auf ganz andere Lebenswelten, für ihn eine unbezahlbare Lebensschule.
Vereinsleben ist die beste Schule für die Demokratie. Kennt ihr das Lied von Mani Matter? Ich singe es jetzt nicht, aber der Text ist unschlagbar.
Mir hei e Verein, i ghöre derzue
Und d'Lüt säge, lue dä ghört o derzue
Und mängisch ghören i würklech derzue
Und i sta derzue
Und de gsehn i de settig, die ghöre derzue
Und hei doch mit mir im Grund gno nüt z'tue
Und anderi won i doch piess derzue
Ghöre nid derzue
Und ou was si mache, die wo derzue
Tüe ghöre, da standen i nid geng derzue
Und mängisch frage mi d'Lüt, du lue
Ghörsch du da derzue?
Und i wirde verläge, sta nümm rächt derzue
Und dänken, o blaset mir doch i d'Schue
Und gibe nume ganz ungärn zue
Ja i ghöre derzue
Und de dänken i albe de doch wider, lue
S'ghört dä und dise ja ou no derzue
Und de ghören i doch wider gärn derzue
Und i sta derzue
So ghör i derzue, ghöre glych nid derzue
Und stande derzue, stande glych nid derzue
Bi mängisch stolz und ha mängisch gnue
Und das ghört derzue
Wunderbar – Mani Matter unschlagbar in der Beobachtung der Gesellschaft!
Demokratie funktioniert nur, wenn wir uns beteiligen, dafür gehört für mich auch, dass ich das Privileg wahrnehme an Abstimmungen und Wahlen teilzunehmen,
Auch hier kann ich mich für Sachen einsetzen, die mir wichtig sind. Wenn wir uns vor Augen führen, dass nur 46% der Menschen in einer Demokratie leben, kann ich einfach nicht nachvollziehen, warum so viele bei uns von ihrem Privileg nicht Gebrauch machen.
Sollen wir über eine Abstimmungspflicht nachdenken? Was ich bis vor Kurzem nicht gewusst habe, dass der Kanton SH eine Abstimmungspflicht kennt – pro verpasste Abstimmung müssen 6.- bezahlt werden.
Ich habe bei mir zuhause nicht eine Pflicht – sondern einen Abstimmungszwang eingeführt. Meinen drei Kindern lasse ich nicht durchgehen, wenn sie diese, in meinen Augen «BürgerInnenpflicht» nicht erfüllen.
Max Frisch hat dazu gesagt: Demokratie heisst, sich in die eigenen Angelegenheiten einmischen.
Leider erfahren wir, dass viele vergessen, dass wir alle auch Pflichten haben gegenüber dem Staat und der Gesellschaft – das Wort Pflicht weckt eher direkt eine ablehnende Haltung nach sich. Wir pochen im Gegenteil auf unsere Rechte.
Der deutsche Philosoph und Autor Richard David Precht hat ein Buch geschrieben «von der Pflicht», in der Betrachtung der Reaktionen der Menschen während der Pandemie. Er beschreibt darin, dass sich die Menschen mehr und mehr als Kundinnen und Konsumenten des Staates betrachten und diesen als Dienstleister sehen. Und dass die Menschen stets eines wollen: für sich selbst das Beste.
Wir haben während der Pandemie erfahren, dass sich gewisse Kreise vom Staat nicht in die Pflicht haben nehmen lassen, sie haben sich mit allen Mitteln dagegen gewehrt und immer wieder vehement auf ihre Rechte gepocht.
Es war zum Teil schon irritierend, dass das eigene Recht vor den Schutz von Schwächeren gestellt wurde.
Natürlich, ich gebe zu, ich hatte auch meine Mühe, wie wohl viele von uns, dass meine Rechte eingeschränkt wurden.
Doch nahm ich es schlussendlich als meine Pflicht wahr, die Massnahmen zu akzeptieren, damit wir diese Pandemie durchstehen konnten. Natürlich habe ich lamentiert, ob die Massnahmen nun sinnvoll seien oder nicht – doch war es immer Jammern auf hohem Niveau. Wie wir in den letzten Wochen sehen konnten, wurde anderswo ganz rigoroser umgesprungen: Shanghai hat während Wochen die Menschen praktisch eingesperrt, und wo infizierte Menschen hin verfrachtet wurden, liess mich erschaudern. Da würde ich doch schon eher von einer Diktatur sprechen. Wer unseren Staat während der Pandemie als Diktatur verschrien hat, hat schlicht keine Ahnung, wovon er oder sie spricht.
Rechte – Pflichten – Engagement: Begriffe die mich begleiten. Für die es sich lohnt, über sie nachzudenken. Es sind Werte, welche für unser Zusammenleben unverzichtbar sind.
Daher bedanke ich mich auch hier bei Ihnen für ihr Engagement für die Volkshochschule, sei es mit der Arbeit im Vorstand oder als Vereinsmitglied – sie habe eine eindrückliche Institution aufgebaut, welche einen sehr wichtigen und wertvollen Betrag in der Bildung und Weiterbildung von Erwachsenen abdeckt und zudem eine wichtige Arbeitgeberin in der Region ist.
Und ich schliesse mit den Worten von Albert Schweizer zum Thema Engagement:
Das schönste Denkmal, dass Menschen bekommen können, steht in den Herzen der Mitmenschen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.